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Am Neujahrstag kam es in deutschen Großstädten zu Ausschreitungen, bei denen Feuerwehrleute und Polizisten verletzt wurden.
Seit den Silvesterkrawallen debattiert Deutschland über die Wiedervereinigung – schließlich sind die meisten von der Gewalt Betroffenen Männer und haben einen Migrationshintergrund. Für den deutschen Migrationsforscher Cihan Sinanoglu ist klar, dass gescheiterte Integration ein soziales Problem ist, kein kulturelles. In Deutschland beispielsweise hat nicht jeder den gleichen Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung.
Eine Haltung, die der Schweizer Migrationsexperte Eduard Kneza oft teilt. Deutschland habe unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (68) nach der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 Fehler gemacht, so der ehemalige Direktor des Bundesamtes für auswärtige Angelegenheiten und Schweizer Sondergesandte für internationale Migrationszusammenarbeit.
Deutschland lag falsch
Das Eingeständnis an sich sei nicht falsch, denn „es war vor allem die Not der Menschen in Syrien“. Danach ist jedoch mit der Integration nicht alles in Ordnung. „Unter den Flüchtlingen gab es zum Beispiel auch unbegleitete Minderjährige. Diese sollten ermutigt werden, sich Chancen zu erschließen, die Landessprache zu erwerben und ein Unternehmen zu gründen.“ Deutschland hat hier aus Sicht des Migrationsexperten sehr wenig getan.
Wir haben, aber die Situation ist anders. «Die Schweiz verfügt über ein gutes Bildungssystem. Insbesondere die duale Berufslehre bietet jungen Zuwanderern gute Chancen, in den Arbeitsmarkt einzusteigen», sagt der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Ausländerangelegenheiten, dem Vorgänger des heutigen Staatssekretariats für Migration (SEM). .
Verschiedene Aktivitäten
Gute Erfahrungen wurden beispielsweise mit Vorintegrationstrainings für Geflüchtete gemacht – in denen Geflüchtete und vorläufig Aufgenommene gezielt und praxisnah auf eine Qualifizierung vorbereitet werden. Auch ukrainische Flüchtlinge und andere Einwanderergruppen können eine solche Vorqualifizierung absolvieren.
Auch der Bund stellt den Ländern Geld für Sprachkurse und andere Integrationsmassnahmen zur Verfügung: Die Kantone erhalten eine Integrationszahlung von 18’000 Franken für jeden anerkannten Flüchtling und jede vorläufig Aufgenommene – das sind abgewiesene Asylsuchende, die nicht abgeschoben werden können.
Auch in Deutschland gibt es Sprachkurse, aber bis vor wenigen Jahren waren bestimmte Zuwanderergruppen, etwa Personen mit vorläufiger Aufnahme, davon ausgeschlossen. Sie haben keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Keine Ketose
Expertin Gnessa glaubt, dass sich die Förderung der Integration auszahlt. Aber es gibt noch weitere Punkte, die bestätigen, dass die Schweiz auf dem richtigen Weg ist. Das hat laut Gnesa etwas mit der Situation in der Schweiz zu tun: «Wir haben keine grossen Städte mit so vielen Ausländern wie Berlin.»
Aber in der Schweiz wurde immer darauf geachtet, eine “Ghettoisierung” zu verhindern. Gnesa erklärt: «Es wird immer wieder gefragt, warum Asylsuchende aus französischsprachigen Ländern nicht der Romandie zugeteilt werden, wo die Integration aufgrund der Sprache einfacher ist.»
Würden jedoch alle Frankophonen in der Westschweiz untergebracht, würde dies zu Parallelgesellschaften führen. «Um das zu verhindern, werden sie in der Deutschschweiz oder im Tessin untergebracht, wo sie die Landessprache lernen und sich in die Gesellschaft integrieren müssen.»
Strenge Schweiz, die Anreize schafft
Zudem sei die Schweiz strenger als andere Länder: «Abgelehnte Asylsuchende werden in der Schweiz regelmässig abgeschoben. In den deutschen Bundesländern ist sie dagegen viel tiefer», sagt Kneza. Hinzu kommen beschleunigte Schweizer Asylverfahren, die unter der kürzlich zurückgetretenen Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62) eingeführt wurden.
Doch schon vorher startete das SEM unter der Leitung des damaligen Staatssekretärs Mario Kattiger (66) ein sogenanntes 48-Stunden- oder Fast-Track-Verfahren für Asylsuchende aus Ländern mit niedrigen Schutzquoten. Wenn Sie also aus einem Land kommen, in dem praktisch niemand Asyl bekommt, wird Ihr Antrag bereits deshalb vorrangig behandelt, weil den Menschen dort keine Verfolgung droht.
Diese unterschiedliche Praxis ist aus Sicht von Knessa einer der Gründe, warum Deutschland und Großbritannien beliebtere Ziele für Einwanderer sind als die Schweiz. Heute bevorzugen viele Asylsuchende, die auf ihrer Reise Italien oder Österreich passiert haben, auf ihrem Weg nach Nord- oder Westeuropa die Schweiz.
Acht Migrationspartnerschaften
Edouard Gnesa, der frühere Sondergesandte für Migration, vergaß nicht zu erwähnen, wie wichtig Migrationspartnerschaften für die Verhandlungsführung sind. Sie helfen bei der Wiedereingliederung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer und bilden junge Menschen aus. Sie unterstützen Entwicklungsprojekte in Partnerländern und den Kampf gegen Menschenhandel. „Teil der Partnerschaft sind auch Rückführungsabkommen, bei denen abgelehnte Asylbewerber freiwillig, notfalls aber auch gegen ihren Willen zurückgeführt werden können“, betont Gnesa. Denn ein abgelehnter Asylbewerber, der weiß, dass er möglicherweise in sein Heimatland abgeschoben wird, ist bereit, seinen Rückkehrwunsch zu erklären und eine Ersthilfe in seinem Heimatland in Anspruch zu nehmen.
Mittlerweile hat die Schweiz solche Partnerschaften mit acht Ländern abgeschlossen, darunter die Balkanstaaten Kosovo und Serbien, aber auch Sri Lanka, Tunesien und Nigeria.