
fBundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war aus heutiger Sicht falsch, Schulen und Kindergärten während der Corona-Pandemie lange und weitgehend zu schließen. Er fand auch ein Opfer: Experten aus Wissenschaft und Forschung, die damals die Bundesregierung berieten.
“Damals war Wissenschaft in Deutschland: Schulen mussten geschlossen werden, weil es Übertragungsfälle gab”, sagte Lauterbach Anfang der Woche im ARD-“Morgenmagazin”. Die Wissenschaftler berieten die Bundesregierung.
Eine kühne These
Zwar war zu Beginn der Corona-Pandemie wenig über die Übertragungswege des Erregers SARS-CoV-2 bekannt. Aus diesem Grund schlug die Politik zunächst sehr strenge Maßnahmen vor, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. In der ersten Corona-Welle waren Schulen und Kindergärten teilweise monatelang geschlossen.
Es ist schnell und weitgehend sicher, dass Kinder selten an Covid-19 erkranken. Aber das Ausmaß des Risikos einer Übertragung ohne Symptome ist eines der Themen, die zu Beginn der Pandemie diskutiert werden. Und wenn es um Schulen und Kindergärten geht, gab es damals nicht die gleiche wissenschaftliche Sichtweise, sondern – je nach medizinischem Fachgebiet – unterschiedliche Sichtweisen.
Der Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Weiler, stellte kürzlich klar: „Wir haben immer wieder Empfehlungen ausgesprochen, die Schulen und Kindergärten ermöglichen können, wenn auch mit Aufwand.“ In einem Interview mit der “Zeit” Ende Januar sagte er: “Es gab nie nur eine Alternative: entweder ein paar Tote oder das Offenhalten der Schulen.” Aufgabe der Politik sei es, neben den epidemiologischen Aspekten auch die wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Aspekte zu berücksichtigen.
Im Frühherbst des ersten Corona-Jahres 2020 sagte das RKI: Bildungseinrichtungen spielen eine Rolle im Infektionsgeschehen. Gleichzeitig sind Schulen und Kindergärten für die Entwicklung, Bildung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen sowie für die Beschäftigung der Eltern von großer Bedeutung. Es ist wichtig, diese Einrichtungen unter Einhaltung von Gesundheitskonzepten offen zu halten.
Noch vor der bundesweiten Schließung der meisten Schulen und Kitas Mitte März 2020 erklären Forscher wie die Virologin Ulrike Protzer von der Technischen Universität und dem Helmholtz-Zentrum München knapp: „Wenn Hygienemaßnahmen nicht gewährleistet werden können, können Schulschließungen sinnvoll sein .”
Damals forderte beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), Schulen und Kindergärten so zu organisieren, dass Kinder und Jugendliche lernen, Hygieneregeln umzusetzen. „Es lohnt sich nicht, Schulen zu schließen“, sagt Peter Walger, Infektiologe und Sprecher der DGKH.
Christian Drosten, Virologe an der Charité Berlin, der von verschiedenen Vorkämpfern oft persönlich für die Corona-Politik der Bundesregierung verantwortlich ist, sieht das Vorgehen in Schulen und Kitas in der Anfangsphase anders.
„Natürlich gibt es Unsicherheiten, auch aus wissenschaftlicher Sicht“, sagt er im NDR-Podcast „Corona Update“ vom 13. März 2020, einen Tag nachdem die meisten Bundesländer erstmals beschlossen haben, Schulen zu schließen. Politiker müssten Entscheidungen „an die Gegebenheiten vor Ort“ anpassen – „auch an Menschen, die mit der Schule, mit gesellschaftlichen Strukturen etc. vertraut sind“. Neben Virologen sollten auch Experten anderer Fachrichtungen hinzugezogen werden.
Später im Jahr machte Drosten noch einmal deutlich: „Mitte März hat das Wissenschaftsressort, dem ich angehörte, keine Schulschließung empfohlen.“ Stattdessen werde ein regionales Vorgehen empfohlen, sagte der Virologe am 15. September 2020.
Im Mai 2020 forderten unter anderem die Deutsche Akademie für Kinderheilkunde und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte die uneingeschränkte Wiedereröffnung von Kindergärten und Schulen. Laut dem Artikel der Wissenschaftler stehen dem auch der Schutz von Lehrern, Trainern und Eltern sowie Gesundheitsgesetze nicht entgegen. Der Unterricht ist auch in vollen Klassen möglich, wenn sich die Kinder in den Pausen nicht mit anderen Klassen treffen.
Lauterbach, der damals noch als SPD-Gesundheitsexperte in der Regierung mit der Gewerkschaft an wichtigen Entscheidungen beteiligt war, folgte damals der weitverbreiteten Bitte der Ärzteschaft. eine Absage: Kinderärzte meinten es gut. „Leider ist es ein Irrtum, dass Kinder für die Pandemie wenig Bedeutung haben“, schreibt er auf Twitter.
Nach der Sommerpause im August 2020 heißt es in einer Stellungnahme der Kommission, der Droste und weitere Virologen wie Jonas Schmidt-Chanasit, Sandra Sisk und Melanie Brinkman angehören: „Wir unterstützen jede Aktion, die den Zielen von Schulen und Bildungseinrichtungen dient. Um es für die nächste Wintersaison offen zu halten.” Dies ist für das Wohlergehen der Kinder unabdingbar. Es sollte praktikable Konzepte geben, um das Risiko einer Ansteckungsverbreitung in Schulen zu verringern.
Es lässt sich sagen: Eine ernsthafte Forderung nach einer flächendeckenden Schließung von Kindergärten und Schulen lässt sich bei den wissenschaftlichen Beratern der Bundesregierung nicht finden. Die entsprechende Entscheidung wurde schließlich auf politischer Ebene getroffen.
Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Verhältnis von Politik und Forschung einmal auf den Punkt gebracht: Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Coronavirus könnten sich im Laufe der Zeit ändern – sie sagte Ende April 2020: „Wir müssen damit leben.“ Andererseits sollte es auf politischem Wege geschehen, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse verschiedener Bereiche und Abwägung unterschiedlicher Interessen.