Miqui Otero: „Simón“ – Bücher machen noch kein Leben

Miqui Otero: "Simon"

Miqui Otero wird vom Verlag als Chronist von Barcelona angekündigt. Sein Roman “Simón” ist jedoch eine eher sentimentale Geschichte über die Antithese von Kunst und Leben. (Portraitfoto: Elena Blanco / Buchcover: Klett-Cotta)

“Wenn es vorbei ist, wirst du weinen.” Der erste Satz ist ein wiederkehrendes Thema in Miqui Oteros Roman. Es besteht kein Zweifel, dass diese Geschichte traurig sein wird. Insofern hält Otero Wort, denn in seinem Roman hat es kaum jemand leicht. Niemand ist glücklich. Die spanische Realität von 1992-2018, von der Otero in drei Teilen seines Romans erzählt, ist geprägt von sozialem und wirtschaftlichem Niedergang, persönlichen Krisen, Hoffnungslosigkeit und einer rücksichtslos tiefer werdenden Kluft der Ungleichheit. Diese Ungleichheit beginnt, als Simón, der Protagonist dieses Romans, 1984 geboren wird – über einer Bar in Barcelona.

„Für diejenigen, die durch die Tür eintraten, stand die Zeit still, wie beim Betreten eines Kinos oder Theaters. So wie Simón sich nicht erinnern konnte, jemals eine Kneipe betreten zu haben (er wurde praktisch dort geboren), so erinnerten sich seine Eltern, sein Onkel und seine Tante nicht daran, wann sie das letzte Mal über die Schwelle gegangen waren, um Luft zu holen oder zu rauchen.

Schauplatz des Zusammenbruchs des Neoliberalismus

Miqui Otero porträtiert die Kneipe als Schauplatz des Zusammenbruchs einer neoliberalen Gesellschaft voller Unglücklicher, Alkoholiker und Nostalgiker.

Sie spiegeln eine Vergangenheit wider, in der es, wie es so schön heißt, noch öffentliche Telefonzellen gab und Autofahrer immer wieder mit Blaulicht vor Verkehrskontrollen warnten. Der kleine Simón lernt bald, dass Glück und wahre Freundschaften nicht in der Realität, sondern in Büchern zu finden sind. Sein Cousin Rico bringt sie jeden Sonntagmorgen vom Flohmarkt nach Hause. Er nennt sie “Free Books” und versteckt sie, damit Simón sie aufspüren muss, als würde er Aasfresser jagen.

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“Kostenlose Bücher, Simón, sind wie Fechten: Sie gefährden Leben und Gesundheit und feiern gleichzeitig”, sagte Rico. “Ah.” Auf diesen einsilbigen Simón griff man oft zurück: Er verbarg Unwissenheit und fesselte einen nicht wie ein „Ja“. „Ich möchte nicht, dass du nur von Büchern lebst.

Kann Literatur vor der Realität retten?

Ist die Liebe zur Literatur stark genug, um sich der grausamen Realität zu stellen? Das ist die Grundfrage der Geschichte. Simón fühlt sich bald selbst wie der Held des Romans. Mit 11 Jahren ist es sein größter Wunsch, „heilig zu bleiben“, heldenhafter und hoffnungsvoller als die anderen. Er ist ein einsamer Außenseiter, der um seinen geliebten Cousin Rico trauert, der plötzlich verschwunden ist. Was niemand weiß: Rico ist bei einem seiner Drogendeals in Barcelona vor Schuldeneintreibern geflohen.

Diese Grundkonstellation dient Miqui Otero als Hintergrund für allerlei Gegenwartsthemen. Simón beginnt eine Lehre als Koch in einem Gourmetrestaurant und erfährt entwürdigende Behandlung auf dem Lehrstellenmarkt. Seine Freundin Candela, eine gebürtige Dominikanerin, kämpft mit postkolonialer Diskriminierung und sexueller Belästigung, während Simóns Freundin Estela gegen die globale Lebensmittelökonomie kämpft. Estela hat glänzendes grünliches Haar, weil ihr Vater, ebenfalls Alkoholiker, eine Polierwerkstatt betreibt. Allein das macht sie zu einer Außenseiterin unter den Benachteiligten. Andererseits verkauft ihre Mutter alte Bücher auf einem Flohmarkt und verliert den Verstand.

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Übertriebenes Panorama

Dies sind nur einige Stationen aus einer Reihe übertriebener Szenen und Konstellationen. Sie erwecken den Eindruck, als wolle der Erzähler keine zusammenhängende Geschichte, sondern ein rein emotionales Panorama seiner Figuren.

„Einige werden sagen, dass die Autoren lügen, aber seien wir wenigstens nett zu den Charakteren, denn manchmal sind sie wirklich ehrlich. Einige werden sagen, dass Simón übertreibt, aber vielleicht ist der Leser kein Teenager, oder schlimmer noch, ein Erwachsener, der vergessen hat, wie sich alles in diesem Alter anfühlt.

Wenige Jahre später gab Simón das klassische Berufsleben auf. Als Billard- und Gastroexperte reist er mit einem reichen Freund um die Welt. Er erlebt die menschlichen Niederungen einer privilegierten Gesellschaft. Erfindung oder Wahrheit?

Die Weisheit murmelnder, hochmütiger Gefühle

Der Erzähler von Miqui Otero folgt einer zu einfachen Regel. Wendungen in der Handlung oder Charaktere, die unfertig und unwahrscheinlich erscheinen, gehören für ihn zur kreativen Freiheit jeder fiktiven Geschichte. Vor allem präsentiert es schattenhafte Weisheiten, stereotype Dramen und arrogante Gefühle. Was der Erzähler Otero zu ahnen scheint, als er hastig schreibt:

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„Simón hatte alle epischen Lesarten seines Lebens und seiner Zukunft lange missachtet, und der Literaturkritiker, der viele legendäre Charaktere als oberflächlich oder effekthascherisch verurteilte, war nichts als das Vergehen der Zeit.“

Am Ende stellt sich heraus, dass Simón und sein Cousin Rico, jeder auf seine Art, nicht wie im Roman außer Haus leben. Die Realität dreht sich in ihrer Abwesenheit weiter. Die Familienkneipe ist geschlossen, alte Bindungen zerbrochen, und auch Spanien wird von der Wirtschaftskrise und dem islamistischen Terror erschüttert.

Leider wird übersehen, welche Ebene der Neuzeit die krisenhafte, allzu oft verzweifelte Stimmung dieses Romans erklären könnte. „Wenn es vorbei ist, wirst du weinen“ – um das Leitmotiv seiner Geschichte wie eine Prophezeiung zu erfüllen, nimmt der Autor alle emotionalen Register. Miqui Otero ist nicht der Chronist von Barcelona, ​​wie ihn der Verlag darstellt, sondern der Erzähler eines ziemlich emotionalen Märchens über eine harte Realität jenseits der Vorstellung seines eigenen Lebens. Außerdem erhebt der Autor allegorisch ein Glas auf die Bücher, die ihn geprägt haben, auf seine Freunde und sogar auf sich selbst; etwas weniger Anspruchslosigkeit würde seiner Geschichte um ein Vielfaches gut tun.

Miqui Otero: “Simón”
Aus dem Spanischen übersetzt von Matthias Strobel
Klett Cotta, Stuttgart
442 Seiten, 25 Euro

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