
Dd.h Die Szene könnte aus einem Ego-Shooter stammen kommen: Ein junger Mann richtet eine Waffe auf das Fahrerfenster eines Berliner Polizeiautos, drückt ab und feuert eine Feuerwerkspatrone in das Fahrzeug. Es explodiert im Auto und blinkt rot und weiß. Diese Bilder zeigen das ganze Ausmaß der Gewalt gegen Feuerwehr und Polizei in der Silvesternacht. Neben Knallkörpern setzten die Täter auch mehrfach leere Pistolen ein.
Während eines Fernsehinterviews mit einem Feuerwehrmann etwa formt ein maskierter Mann mit den Händen einen albanischen Doppeladler und feuert dann mehrere Schüsse in die Luft. Ein Berliner Polizist erlitt Verbrennungen durch eine Feuersalve aus einer leeren Waffe. Aber auch in Hamburg zwang eine Gruppe von 15 bis 20 Personen drei Busfahrer mit leeren Pistolen zum Anhalten.
Mögliche Bußgelder bis zu 10.000 Euro
Nach den Silvester-Zwischenfällen konzentrierte sich die Debatte darauf, den Verkauf von Feuerwerkskörpern zu verbieten, um zukünftige Gewaltexzesse zu verhindern. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) etwa will dies durch eine Innenministerkonferenz durchsetzen. Fälle, in denen Elektroschocker gegen Vollzugsbeamte eingesetzt wurden, zeigen jedoch, dass eine solche Maßnahme möglicherweise nur bedingt geeignet war, solche Angriffe auf Polizei und Feuerwehr zu verhindern. Im „Tagesspiegel“ sprach sich Spranger am Mittwoch für schärfere Waffengesetze für Sturmgewehre aus.
Bisher können Schreckschusswaffen, Gaspistolen oder Signalwaffen (auch SRS-Waffen genannt) und zugehörige Munition in Deutschland ohne größere Einschränkungen erworben werden. Einzige Bedingungen: Die Waffe muss ein Prüfzeichen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt haben und der Käufer muss 18 Jahre alt sein. Unter den aktuellen Angeboten von Waffenhändlern befinden sich täuschend echte Modelle, die der Walther P99 ähneln, deren Original bei verschiedenen Polizeikräften im Einsatz ist. Ihr Preis liegt bei etwa 150 Euro, andere sind viel billiger.
Der bloße Kauf bedeutet jedoch nicht, dass die Waffe öffentlich verwendet werden darf. Dazu bedarf es nach aktueller Rechtslage einer Erlaubnis für die sog Die Waffe darf jedoch nicht an einer sichtbaren Stelle getragen werden und darf nur zur Beseitigung von Gefahren verwendet werden. Außerdem sind als Munition nur leere Patronen, Tränengaskanister und Feuerwerkszubehör erlaubt. Verstöße gegen das Waffengesetz, wie das Tragen von Waffen ohne Genehmigung, könnten mit einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Allein in Berlin wurden in der Silvesternacht 89 solcher Verstöße gegen das Waffengesetz festgestellt und 74 Schreckschusspistolen beschlagnahmt.
Spranger will nun für den Kauf einer Vorderlader-Schusswaffe einen Kleinwaffenschein und eine damit verbundene Zuverlässigkeitsüberprüfung vorschreiben, für die der Käufer nachweisen muss, dass keine strafrechtlichen Ermittlungen anhängig sind. Auch Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) sprach sich im Interview mit WELT für eine ähnliche Gesetzesänderung aus. Der Ampel-Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vom Dezember 2021 sah bereits eine entsprechende Änderung vor, die aber noch nicht umgesetzt wurde. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt beim Kauf sogar eine Registrierung.
Waffenhersteller und -händler weigern sich, die Waffengesetze angemessen zu verschärfen. „Was in der Silvesternacht passiert ist, kann nicht durch eine Verschärfung der Waffengesetze verhindert werden, weil sie ohnehin schon verboten sind“, sagt Ingo Meinhard, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler (VDB) auf WELT-Anfrage.
Das Gesetz sieht Ausnahmen von der Regel vor, SRS-Waffen in der Öffentlichkeit nur mit leeren Patronen bei Theateraufführungen und Startsignalen bei Sportveranstaltungen zu tragen. Ohne Waffenschein und ohne Erlaubnis darf eine leere Waffe nur auf dem eigenen eingezäunten Grundstück oder auf einem Schießstand benutzt werden und nur dann, wenn dadurch andere Personen nicht beeinträchtigt werden.
Entgegen der landläufigen Meinung gibt es an Silvester keine besonderen Regeln. Waffenhändler weisen Käufer immer wieder auf diese Regeln hin, betont Meinhard. Seiner Meinung nach könnten Schläger gebrauchte Schreckschusswaffen am Neujahrstag oder am 1. Mai von Freunden oder über Kleinanzeigen bekommen.
Es gibt immer mehr Anträge auf Lizenzen für Kleinwaffen
Nach Schätzungen des Verbandes sind derzeit in Deutschland 43 Millionen Schreckschusspistolen im Umlauf. Diese Zahl basiert auf Angaben von Herstellern und Händlern über Produktion und Absatz der vergangenen Jahrzehnte. „Die Zahl klingt hoch“, gibt Meinhard zu. “Viele Besitzer wissen nichts über diese Waffen, weil sie zum Teil seit Jahrzehnten auf Dachböden oder in Kellern lagern”, sagt er. Daher hält er die Gefahr, die von dieser Waffe ausgehen könnte, für gering.
Daten des Nationalen Waffenregisters zeigen jedoch, dass das Interesse an Schreckschusswaffen in Deutschland wächst. Nach Angaben des zuständigen Bundesinnenministeriums stieg die Zahl der erteilten Waffenscheine bis zum 30. November 2022 auf 776.459. Anfang 2022 waren es noch 740.174 – ein Plus von 36.285. In den Vorjahren war ein ähnlicher Anstieg zu verzeichnen.
Der VDB führt Ereignisse wie Silvester in Köln 2015 an, die zu dieser erhöhten Nachfrage nach Schreckschusswaffen und Selbstverteidigungsartikeln führten. „Im Jahr 2016 waren Abwehrwaffen im Fachhandel praktisch ausverkauft“, sagt Meinhard, dessen Verband auch das Verkaufsverbot für Böller ablehnt: Feuerwerkskörper werden zwar überwiegend über Discounter verkauft, aber nach VDB-Schätzungen etwa 15 Prozent des jährlichen Silvesters Eve-Verkäufe können dem Waffenhandel zugeschrieben werden. Auch für die VDB-Mitgliedsbetriebe ist dieses Saisongeschäft ein Wirtschaftsfaktor.
Zweifel an der Lösung des Problems
Fraglich ist auch, ob die Verschärfung des Waffengesetzes und das Verbot von Feuerwerkskörpern gleichzeitig das Verhalten von Jugendlichen verändern werden. Der ehemalige Neuköllner Jugendstadtrat Falco Liecke (CDU), der sich seit Jahren mit der Jugendkriminalität in seinem Bezirk befasst, bezweifelt das. „Wir führen hier eine Scheindebatte“, sagte Liecke auf WELT-Anfrage. Der mangelnde Respekt vor dem Staat und seinen Repräsentanten ist aus seiner Sicht jedenfalls nicht zu reparieren. Dazu bedarf es eines Maßnahmenpakets. Alles andere ist nur “um das Phänomen herumstochern”.
„Die Gründe für dieses Verhalten in bestimmten Stadtteilen Neuköllns sind bekannt und nehmen seit Jahren zu. Hier kommen viele Probleme zusammen“, erklärt Liecke. Einerseits sind die Familien, aus denen die Täter stammen, gewachsen, was dazu führt, dass Jugendliche oft aus zu kleinen Wohnungen auf die Straße geworfen werden. Zudem sind Väter in diesen Familien oft nicht präsent, es fehlt also an Erziehung und Vorbildern. Hinzu kommt, dass diesen jungen Menschen aufgrund fehlender Schulbildung ein normaler Berufsweg versperrt ist.
„Anerkennung in den sozialen Medien wird als Ersatz angestrebt. Und hier gilt: Je härter und brutaler, desto besser“, erklärt Liecke. Deshalb fordert er nicht nur Sozial- und Jugendarbeit in betroffenen Stadtteilen, sondern auch ein konsequenteres Vorgehen gegen Täter, also eine schnelle strafrechtliche Verfolgung – auch bei Verstößen gegen das Waffengesetz.
Assistenz: Katja Mitić