Wiederaufbau im Ahrtal – Die alten Fehler wiederholen sich

Die Altstadt von Ahrweiler am frühen Abend: dunkel und leer. Nur gelegentlich begegnet man Passanten. Vorbei sind die Zeiten, in denen Ahrweiler zu Weihnachten von Benelux-Touristen überfallen wurde. Zarko Sirkevic erinnert sich, dass am dritten Adventssonntag Trainer aus ganz Deutschland anwesend waren.

und nun? “Es war aber kaputt – faul. Von allen Seiten ist zu hören, dass es an Material mangelt und Handwerker schwer zu bekommen sind. Viele hatten beschlossen, ihre Geschäfte früher zu öffnen und wieder in ihre Häuser zu ziehen. “Aber leider geht nicht.”

Das Restaurant, in dem Cirkovic arbeitete, ist immer noch geschlossen. Der Junge musste das Haus, das er kurz vor der Flut gekauft hatte, abreißen. Vater sagt, wenigstens haben alle überlebt. Als Gäste fehlten die Niederländer und Belgier. Cirkovich befürchtet, dass es ohne die Ahrtalbahn, rekonstruierte Straßen und Parkplätze schwierig sein wird, sie zurückzubringen.

In Darnav ist die Situation noch schlimmer

Trotzdem kamen Olga und Helmut Kern für einen Kurzurlaub aus dem nahen Rheinland dorthin. Doch der gebürtige Kolumbianer ist frustriert darüber, wie es nach zwei Jahren immer noch läuft, wie wenige Menschen in ihre Häuser zurückgekehrt sind, wie lange die Renovierungsarbeiten dauern und wie kaputt alles noch aussieht.

Das Paar ging die Rotweinroute. “Aber wenn du nach Drnav gehst, ist es schlimmer als hier.” Ahrweiler ist schlecht, Darnau noch schlimmer – die Kerns finden es traurig. Es ist nicht so einfach, abends ein Restaurant zu finden.

„Im Vergleich zu 2021 sieht es wieder ganz gut aus“, sagt Vanessa. Die Kölnerin zeigt auf die restaurierten Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz. Er kommt regelmäßig ins Ahar-Tal, um seiner ebenfalls betroffenen Familie zu helfen, jetzt aber als Tourist.

„Viele Dinge brauchen einfach Zeit. Denken Sie einfach negativ – wir werden damit nicht weitermachen. Es wird nur schöner, denke ich. Es wird.“

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Verlässt man die Altstadt über das historische Ahrtor, gelangt man nach wenigen Schritten zum sogenannten Ahrwein-Forum des örtlichen Winzervereins. Das Wasser war auch hier. Jetzt wurde die Halle kürzlich mit dekorativen Reliefs an den Wänden renoviert.

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Der helle Raum ist mit Projektoren und Leinwänden gefüllt. Mit einem Publikum, das nicht nur hören will, wie es im Ahar-Tal weitergeht, sondern vor allem, wie es weitergeht. Da die Plätze in der Mitte des Raumes alle besetzt sind, bauen Helfer Bierbänke an den Wänden auf.

Starkes Interesse an Renovierung

Rund 100 Besucher aus ganz Deutschland kommen zur Präsentation des Buches von fünf Autoren – aus dem Ahrtal ebenso wie aus Orten rund um die Eifel. Viele von Ihnen haben die 350-seitigen Dokumente namens „Flood Footprints“ bereits in den Händen oder an den Füßen. Andere stehen an der Buchtheke Schlange, um ein Exemplar zu kaufen. Andere versuchen, Autogramme zu bekommen.

Die erste interdisziplinäre Analyse dieses historischen Desasters wird mit Spannung erwartet. Autor Thomas Roggenkamp, ​​promovierter Geograph der Universität Bonn, ist von der Besucherzahl überrascht. Wolfgang Buchs, Gastprofessor für Biologie an der Universität Hildesheim, freut sich: „Die Resonanz ist überwältigend. Wir müssen Rücken-an-Rücken-Sitze hinzufügen, es ist unglaublich.”

Die Gastwissenschaftler Rogenkamp und Buchs sind wie ihre drei Co-Autoren aus der Region langjährige Kenner des Ahrtals.

Wo ist die Flut?

Besucher Joachim Heina steht noch am Rande, Charlotte Faber-Hamling hat sich schon weit vorne einen Platz gesichert. „Ich persönlich bin hier, weil ich einen Roman über die Schriften des Ahertalhochwassers und seine Hintergründe brauche. “Deshalb finde ich es toll, dass es jetzt in meiner Nähe passiert.” Er beginnt.

„Aber Sie als Ahrtaler interessieren sich auch dafür, ob wir dieselben Fehler noch einmal machen – wir haben gerade darüber gesprochen – oder ob wir lernen, besser damit umzugehen.“ er fährt fort.

„Ein wichtiger Punkt für alle Bewohner der Region ist natürlich: Wo ist der Hochwasserschutz, was wird getan“, fragt Faber Hamling. Ich war neulich bei einer „Was passiert nach der Flut“-Veranstaltung. Hochwasserschutz – die Rede ist von 2024, bis es überhaupt ein Konzept gibt.

Danach müssen aber erst einmal Grundstücke für Auen oder Rückhaltebecken gekauft werden. Er vermutet, dass auch das dauern wird. In diesem Sinne sind wir alle, die wir in der Nähe von Ahar leben, besorgt, wie es in den nächsten Jahren weitergehen wird. „Wenn man sich die Ahr anschaut: Wenn es stark regnet, ist sie breiter als vorher, weil sie voller Geröll und Matsch ist.“

Kritische Analyse

Von den Autoren der Hochwasserdokumentation ist eine schonungslose Analyse zu erwarten. Thomas Roggenkamp hat mehrfach als Hochwasserexperte vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Mainz ausgesagt.

Betroffene zitieren oft sein Urteil, dass die Ahr mit dem Sommerhochwasser 2021 ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft habe. „Ja, vielleicht macht uns das nicht unbedingt Mut für die Zukunft. Aber es ist die Realität. Da Hochwasser bisher allein aufgrund von Oberflächenmessungen unterschätzt wurden, darf man nicht täuschen, dass dies das Maximum war, das wir im Jahr 2021 erlebt haben. »

Der Geograph erklärt: „Da kommt noch mehr. Wir haben gesehen, dass das Regenband nicht mitten im Ahrtal lag, sondern eigentlich nur das Ahrtal berührte und die nördlichen Bereiche stark betroffen waren.“ Wenn dieses Regenband etwa 20 Kilometer südlich wäre, wäre das Ahar-Tal stark von Überschwemmungen betroffen und der Wasserstand wäre deutlich höher.

Die Stadt liegt am alten Flussbett

In This Winter zeigen Thomas Roggenkamp und andere Autoren anhand von Karten und Grafiken vergangener Hochwasser, wie die Gefahren der Ahr und ihrer Nebenflüsse mit zunehmender Besiedlung zunehmen.

Sie machen deutlich, dass Teile der Stadt Bad Novinahr-Ahrweiler nicht an der Ahr, sondern am alten Flussbett liegen. Roggenkamp kennt den historischen Verlauf der Ahr aus alten Karten: „Sehr ausgebaut, sehr verzweigt, vor allem im Unterlauf.“ Das sieht man in Badbodendorf, wo die Gegend nicht so dicht besiedelt ist, an einer anderen Farbgebung. Landwirtschaftliche Flächen „Man sieht noch die alten Förderarme. Man merkt, wie der echte Ahrverlauf aussieht: viel breiter, viel verzweigter.“

Deshalb wurden die alten Siedlungen in einer gewissen Entfernung von Ahar gebaut. Aus diesem Grund ist die Aussage, die Sie in Ahar, am alten Flussbett, gemacht haben, genau richtig.

Zurück zu alten Mustern

Der Hydrologe meint, dass es aufhören sollte – wissend, dass alles schon lange so ist. Lokalpolitiker haben das nicht verstanden. „Zumindest nicht auf Dauer – denn entlang der Ahr sehen wir immer wieder Fehler.“

Sowohl in Bad Bodendorf als auch in Bad Neuenahr selbst werden neue Entwicklungsgebiete ausgewiesen: „Entlang der Ahr wird aktiv neu gebaut. Es geht also nicht darum, dass Menschen, die ihre Heimat verloren haben, sie dort wiederfinden den Ort wieder aufzubauen, aber ich kritisiere es stark.”

Viele seiner Zuhörer stimmen diesem Wissenschaftler zu. „Wir bauen sehr schnell, ohne auf das Ganze zu schauen“, sagt Gabriel Hearn. Er stammt aus Sinzig an der Ahrmündung, wo sein Elternhaus nur 300 Meter vom Fluss entfernt liegt.

Was er hört, macht ihn nachdenklich: “Man kann sich noch weiter zu historischen Überschwemmungen drängen, da man jetzt in der Rede gesehen hat, dass sie genau dieselben Gebiete betroffen haben, die zuvor überflutet wurden.”

Schnellere Regeneration statt Naturschutz

Der Wunsch nach raschem Wiederaufbau dominiere aber nach wie vor die Kommunal- und Landespolitik, argumentiert Autor Wolfgang Buchs. Statt den Verkehr aus dem ökologisch wertvollen Gebiet Sohrbakhtal zu sperren, wurde dort eine sieben Kilometer lange Straße betoniert.

Biologieprofessor sagt, für das unbewohnte Gebiet von West Tanhar habe eine Schotterstraße gereicht, alles andere sei schädlich für den Hochwasserschutz und die Biodiversität. Auch eine einmalige Gelegenheit, der europaweit gefährdeten Branddrossel einen Lebensraum zu bieten, wurde vertan. Der Schmetterling braucht Biotope, die von Ameisen bevölkert sind.

Das könnte man wissen, wenn bei der Planung naturschutzfachliche Expertise eingeholt würde. Aber: “Das ist bisher überall erfolgreich vermieden worden.” „So kann es nicht weitergehen“, sagt Buchs.

Denken Sie an andere Flussansichten

Bei einem Glas Wein, Käsesticks und angeregten Gesprächen klingt der Abend aus. Eine Nacht der bitteren Wahrheiten, das Publikum, das am meisten von der Flut betroffen und psychisch belastet ist, will sie hören und kann damit umgehen.

Geograf Thomas Roggenkamp sagt: „Ich habe den Eindruck, dass die Menschen sehr aggressiv mit dem Thema Hochwasser umgehen und bereit sind, schwer verdauliche Fakten zu akzeptieren. Aber er fragt sich, wie lange? Stichwort “Hochwasserdemenz”: Manchmal treten solche Themen auch in den Hintergrund.”

Er befürwortet den Widerstand gegen das Vergessen. Darüber hinaus ist es wichtig, solche Erkenntnisse nicht nur im Ahar-Tal anzuwenden. Er sagt: Hier sei der Wille groß, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und sie anzunehmen und warnt: In anderen Flusslandschaften sei das vielleicht nicht so, auch wenn die Ausgangslage dieselbe sei.

Landschaft und Geschichte eV (Hrsg.): „Hochwasserspuren im Ahrtal 2021 – Dokumentation, Analyse, Perspektiven“
Autoren: Wolfgang Buchs, Jürgen Hafke, Thomas Rogenkamp, ​​Winfried Sander, Andreas Schmikler.
Landschaft und Geschichte eV, Odenthal 2022
352 Seiten, 34,50 Euro

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